Mit dem Kopf zuerst: Ein berührender Roman

Mit dem Kopf zuerst: Ein berührender Roman

Auch die 2BK tauchte während des Projektmonats zum Thema The Love Parade literarisch in die Welt der Intergeschlechtlichkeit ein. Begleitet wurde sie dabei vom Roman Mit dem Kopf zuerst von Noëlle Châtelet, die sehr sensibel, bildhaft und berührend den Weg des Mädchens Denise beschreibt, das schon als Kind immer wieder bemerkt, dass es anders ist, sich in seinem Körper nicht wohlfühlt.

„Nichts passt zueinander. Hier ein Stück Frau, dort ein Stückchen Mann, ein Mischmasch von Fehlern und Unstimmigkeiten. Zu zweit in einem Körper.” (S. 65)

Am Ende der Kindheit wird Denise klar, dass in ihrem Körper zwei Persönlichkeiten existieren – ein Mädchen und ein Junge. Nach langem Leiden, vielen Erniedrigungen, einem Suizidversuch und einem Aufenthalt in der Psychiatrie beschließt sie, bereits als Erwachsene, Paul zu werden.

Angeleitet von Prof. Andrea Knauder verfassten die Schüler_innen inspiriert von der Lektüre verschiedene Texte. Hier einige Beispiele:


Als Kind steht Denise immer wieder vor dem Spiegel und betrachtet sich darin. Welche Gedanken gehen ihr dabei durch den Kopf und mit welchen Gefühlen wird sie konfrontiert?

Wieso bin ich so anders? Wieso sehe ich nicht gleich aus wie die anderen Kinder? Wieso fühle ich mich so unwohl und falsch in diesem meinem Körper?

Ich möchte nicht in diesem Körper sein, er bereitet mir nur Schmerzen.

Warum schleicht Mama immer um mich herum? Worauf wartet sie denn?

Irgendwie fühle ich mich sehr unwohl, wenn sie mich mit ihrem prüfenden und besorgten Blick mustert.

Ich möchte die Gründe für meine Probleme und Gedanken finden. Was ist los mit mir? Bin ich vielleicht krank?

Der Einzige, der mich versteht, ist Papa. Ich fühle mich sehr wohl bei ihm und beim Turnen, aber auch das Klavier spielen macht mir Spaß. Da kann ich meine quälenden Gedanken und Schmerzen vergessen.

Was ist, wenn ich anders -ein Monster- bin? Gibt es andere wie mich, die sich auch so hilflos fühlen wie ich?

Muss ich gar sterben?

Die Vögel draußen in der Natur sind so frei, sie fliegen Problemen, Schmerzen und Eltern einfach davon. Die Sonne ist so warm, sie gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit. Sie scheint mir bis ins Herz.

Ich zerstöre diesen blöden Spiegel – ich bin wie ich bin!


Nach der Bloßstellung in der Biologievorlesung hat Paul einen Selbstmordversuch unternommen und kommt daraufhin in die Psychiatrie. Was schreibt er am Abend in sein Tagebuch?

Liebes Tagebuch,

ich glaub‘, ich dreh durch. Heute machten wir in der Universität nicht bei unserem aktuellen Thema weiter, sondern es wurde über mich gesprochen – über das „Phänomen“(?!) intersexuelle Menschen. Der Professor behandelte mich vor allen Student_innen im Hörsaal wie eine Schaufensterpuppe. Er verglich intersexuelle Menschen mit Zugvögeln und sah dabei andauernd zu mir. Alle starrten mich an. Jetzt hat wirklich jeder mitbekommen, dass ich beide Geschlechter habe. Alle lachten mich aus, zeigten mit den Fingern auf mich. Sie warteten darauf, dass ich Stellung beziehe, auch der Professor sah mich fragend an. Ich saß nur da, auf demselben Platz wie immer…alles um mich begann sich zu drehen. Ich lief los, einfach raus aus der Hölle. Ich wollte dem Ganzen ein Ende setzen, es ein für alle Mal beenden. Mit dem Kopf voraus fiel ich ins Leere. In die unendliche Leere. Ich wusste nicht mehr, wer, was oder wo ich war. Leichtigkeit-Freiheit-Aufprall…

Die erhoffte Erlösung fiel aus. Mein Leben holte mich ein, holte mich zurück.

Wieder stand ich vor der alltäglichen Entscheidung: Frauen-WC oder Männer-WC? Denise oder Paul?

Ich halte dich auf dem Laufenden – bis morgen.


Am Abend höre ich keine lauten Stimmen aus dem Schlafzimmer meiner Eltern. Nur, bis spät in die Nacht, das Geflüster einer Unterhaltung.“ (S. 47)

Vater: Wir müssen reden, über Denise. Du merkst doch selbst, dass sie sich nicht wohl fühlt, in der Schulkleidung für Mädchen, in dem Rock.

Die Mutter setzt sich auf das Bett.

Mutter: Ja, ich weiß, das sehe ich doch auch, aber sie ist doch ein Mädchen. Alle anderen Mädchen tragen das auch.

Vater: Ja, schon, aber Denise ist auch nicht wie die anderen Mädchen.

Mutter: Was soll das jetzt denn heißen?!

Vater: Na komm, du siehst selbst, dass sie muskulösere Beine hat und eine tiefere Stimme als ein normales Mädchen.

Mutter: Doch schon, aber sie ist doch ein Mädchen, kein Junge.

Vater: Nur weil sie als eines geboren wurde, heißt das nicht, dass sie sich als ein solches verhalten und fühlen muss.

Mutter: Möchtest du mir gerade klar machen, dass wir keine Tochter haben, sondern einen Sohn?

Vater: Nein, nein, aber sie ist halt nicht wie die anderen Mädchen, aber auch nicht wie ein typischer Junge.

Mutter: Und was können wir jetzt tun, um ihr zu helfen?

Vater: Ich finde, wir sollten sie nicht mehr als Mädchen behandeln, auch nicht als Jungen, sondern als Person, die sich erst finden muss. Wir können ihr nicht einfach ein Geschlecht zuweisen.

Mutter: Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.

Vater: Hier geht es nicht um dich, sondern um Denise! Du musst das für sie tun!

Mutter: Ich werde es versuchen, auch wenn es mir sehr schwerfällt.

Vater: Ich glaube, wir werden das schon schaffen.

Mutter: Ich hoffe, Hauptsache Denise geht es gut.

Die beiden umarmen sich und legen sich dann schlafen.


Weitere Beiträge finden sich in der Broschüre, die zum Projektmonat entstanden ist: